Aus dem Archiv der Gitananda Yoga Gesellschaft Deutschland
e. V.
02.06.2010
Yoga
und Gehirngesundheit
von Yogacharini Vijaya (Dr. Arja
Miettinen-Baumann)
Über das Gehirn Das menschliche
Gehirn arbeitet unermüdlich: Es kontrolliert nicht nur das, was wir denken und
fühlen, wie wir lernen und uns erinnern, wie wir uns bewegen und sprechen, sondern
auch vieles, was wir nicht bewusst wahrnehmen - wie den Herzschlag, die Verdauung
und auch den Grad an Stress, den wir spüren. Das Nervensystem ist eine Art Netzwerk,
das Botschaften vom Gehirn zu den verschiedenen Körperteilen sendet und von dort
zurückbekommt. Im Vergleich zu seiner Größe ist das Gehirn extrem leistungsfähig.
Durch die Entwicklung der Furchen und Falten in der Großhirnrinde hat die Evolution
zusätzliches Areal bereitgestellt, um all die wichtigen Informationen des Gehirns
unterzubringen. Für die Bewältigung seiner Aufgaben verbraucht das Gehirn 20 %
der Körperenergie, d.h. die Gehirngröße macht zwar nur 2 % der Körpergröße aus,
es braucht aber 20 % vom Körperstoffwechsel und Sauerstoff. Das Gehirn eines jungen
Menschen ist sehr anpassungsfähig. Oft kann ein Teil des Gehirns die Aufgabe eines
anderen übernehmen, wenn dieser verletzt wurde. Wenn wir älter werden, wird es
schwieriger für die Gehirnzellen, neue Verbindungen aufzubauen, was sich darin
widerspiegelt, dass es im Alter schwieriger für uns wird, neue Aufgaben zu meistern
oder alte Verhaltensmuster zu ändern. Deswegen glauben viele Wissenschaftler,
dass es wichtig ist, das Gehirn ständig zu fordern z.B. durch das Lernen von Neuem,
welches zu Aufbau von neuen Nervenverbindungen oder Stabilisierung von noch nicht
gefestigten führt. Dies hilft, das Gehirn das ganze Leben lang aktiv zu halten.
YAMA und NIYAMA reinigen und verfeinern das Gehirn
Der Mensch mit seinem hoch entwickelten Gehirn besitzt das Potential, die tierische
Vergangenheit mit den auf das Überleben konditionierten Impulsen und Verhaltensmustern
zu überwinden und sich zu einem wahrhaft menschlichen Wesen zu entwickeln. Nach
einigen Wissenschaftlern wie dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz haben wir allerdings
noch einem langen Weg vor uns. Das jetzige Entwicklungsstadium des Menschen charakterisierte
Lorenz als "den Übergang von den Affen zum Menschen". Yoga ist die Wissenschaft
der bewussten Entwicklung (Dr. Swami Gitananda Giri: "Yoga is the science of conscious
evolution"). Die Entwicklung eines Bewusstseins setzt eine Bewusstwerdung unserer
tierischen Vergangenheit mit seinen Reaktions- und Verhaltensmuster voraus, um
dann die 'alten' Gehirnareale unter bewusste Kontrolle zu bekommen. Die Fähigkeit
des Reflektierens, die Fähigkeit, eine Situation so zu sehen wie sie im jetzigen
Moment ist, ohne Konditionierungen und Verhaltensmuster aus der Vergangenheit,
und dann eine adäquate Wahl zu treffen - das ist die Essenz von YAMA und NIYAMA,
des moralischen und ethischen Systems, worauf der ASHTANGA YOGA basiert. Auf der
Leiter der bewussten Entwicklung setzt Maharishi Patanjali YAMA und NIYAMA auf
die ersten Stufen des achtstufigen Weges. Wichtige Nahrung für die Gehirnzellen
sind positive Gedanken. Dies bedeutet auch das Loslassen des "inneren Abfalls":
von negativen Konditionierungen, von negativen Ideen und Gedankenmustern, die
im Körper zu Spannungen und am Ende sogar zu Krankheiten führen können. Schon
Patanjali empfiehlt in seinen YOGA SUTRA, II-33 (Sadhana Pada) die Kultivierung
positiver Gedanken (PRATIPAKSA BHAVANAM), um negativen Gedanken entgegenzuwirken.
Für den Yogaübenden ist dies eine große Hilfe bei seinem Streben, nach den Gesetzen
des YAMA und NIYAMA zu leben. Wir haben keine andere Wahl als diese Gesetze zu
befolgen, wenn wir uns spirituell entwickeln wollen. Vom Standpunkt des Gehirns
aus betrachtet bedeutet dies, dass das Befolgen der Regeln des YAMA und NIYAMA
zur Reinigung und Verfeinerung der Gehirnstrukturen führt. YAMAS zu befolgen bedeutet
'nein' zu den tierischen Impulsen zu sagen, NIYAMAS zu befolgen wiederum dient
der Kultivierung der menschlich-göttlichen Charaktereigenschaften. Die Gehirnstrukturen
aus unserer Säuger-Reptilien-Vergangenheit kommen dadurch unter eine bewusste
Kontrolle unseres Geistes. Dieses fordert eine achtsame Lebensführung und ein
ständiges intensives Üben, welches zum Umbau der Gehirnstrukturen und zur Erschaffung
von neuen neuronalen Netzwerken im Gehirn führen wird.
Yogaübungen
als Gehirnnahrung Die verschiedenen HATHA YOGA-, RAJA YOGA- und
JNANA YOGA-Techniken haben die Kraft, unser Gehirn gesund und funktionsfähig,
aktiv und jung zu halten. Yoga nährt das Gehirn mit einer Vielzahl an ASANAS,
die zunächst ungewohnt für den Übenden sind, das Gehirn zum Umdenken zwingen,
uns an unsere Grenzen bringen und - mit Achtsamkeit und tiefer Atmung durchgeführt
- die Selbstreflektion fördern. Wenn wir die Glieder unseres Körpers in unkonventionelle,
ungewohnte Positionen im Verhältnis zu einem anderen Körperteil bringen, werden
ungewohnte Signale in das Gehirn zurückgeschickt. Solche neuen Signale "rütteln
das Gehirn wach", was das Organ zu neuen Reaktionsmustern zwingt. Viele ASANAS
führen zur Entwicklung von neuen Gleichgewichtserfahrungen, wie z.B. Balancieren
auf dem Kopf, den Händen, dem Steißbein, einem Bein, den Schultern usw. Immer
wenn durch eine Übung ein neues Gleichgewicht hergestellt und gemeistert wird,
müssen neue Verbindungen aufgebaut werden. Andere Übungen wiederum harmonisieren
die Zwiesprache zwischen rechter und linker Gehirnhälfte, so dass eine einseitige
Dominanz zugunsten eines Gleichgewichtes abgebaut werden kann. ASANAS öffnen daher
eine ganz neue Welt der Körper-Gehirn-Interaktionen. Sie sind Nahrung für das
Gehirn, Nahrung für unseren Gedankenapparat.
Aktivierung der Hirnzellen
In dem Yoga-System von Dr. Swami Gitananda gibt es gibt viele Techniken,
die Hirnzellen zu aktivieren. Besonders wichtig ist es, die Hirnzellen mit einer
ausreichenden Menge an Sauerstoff zu versorgen. Dafür ist ein tiefer Atem notwendig.
Die Atmung in den oberen Lungengebieten - ADHYAM PRANAYAMA - die mit dem Hand
Mudra ADHI MUDRA durchgeführt wird, aktiviert die Gehirnzentren für die oberen
Lungengebiete, welche auch das Gehirn mit pranischer Energie versorgen. Viele
ASANAS sind hilfreich, um das Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen, wie z. B. DHARMIKA
ASANA, MEHRU ASANA, PADOTTANA ASANA, PADAANGUSH sowie HASTAPADA ASANA und der
König der Asanas SHIRSHA ASANA. Ein Beispiel, wie das Gehirn direkt mit Yoga Asanas
aktiviert werden kann, ist die Verwendung von Fußpositionen wie VAJRA VEERA ASANA,
welches in Form von Fußreflexzonen-Therapie direkt Nervenzellen des Gehirns anregen
oder GULPHA VAJRA ASANA, das die Zirbeldrüse aktiviert. Sehr gut für die Aktivierung
der Zirbeldrüse ist auch das yogische Ganzkörper-Aktivierung-Kriya SURYA NAMASKAR,
der Sonnengruß. Am Idealsten ist es, diese Übung früh morgens mit Gesicht zur
aufgehenden Sonne zu machen und die vitalen Strahlen vom ganzen Körper absorbieren
zu lassen, während man tief atmet und verschiedene Körperteile der Sonnenstrahlen
aussetzt. Durch das regelmäßige Üben von SURYA NAMASKAR werden geistige Aktivität
des Gehirns und Jugendlichkeit des Geistes gefördert. Eine andere wichtige Übung
für die Aufrechterhaltung unserer geistigen Gesundheit ist BRAHMA MUDRA. In dieser
Übung wird der Kopf mit der Einatmung in vier Richtungen bewegt und mit der Ausatmung
A-U-I-M intonierend wieder in die Mitte zurückgebracht.
Mantras als
Gehirnnahrung Mantrische Töne aktivieren Gehirnzellen und liefern
heilsame Vibrationen für das Gehirn. Durch Visualisierung können wir unsere Gedankenprozesse
trainieren und unsere Vorstellungskraft erweitern. Mantras wie das Mantra aller
Mantras PRANAVA AUM fördern die Einkehr nach Innen und helfen uns, auf eine andere
Bewusstseinsebene zu gelangen.
Reinigung des Gehirns
Für einen Yogi ist die Reinheit seines Lebensumfeldes wichtig. Diese Forderung
sollte auch für das Gehirn gelten. Es gibt eine Reihe von Techniken, die uns dabei
helfen, unser Gehirn sowohl auf der grobstofflichen als auch auf der feinstofflichen
Ebene sauber zu halten. Ideale Techniken sind die Methoden der Wechselatmung,
wie diese von Dr. Swami Gitananda Giri gelehrt wurden. Dr. Swami Gitananda lehrte,
dass die vitale pranische Energie mit der Einatmung durch SURYA NADI in den Körper
eintritt. Die negative apanische Kraft verlässt den Körper durch die Nervenendigungen
des CHANDRA NADI. Das Ziel der Wechselatmung ist es, diese beiden Energien ins
Gleichgewicht zu bringen. Eine wichtige Methode der Gitananda-Schule ist LOMA-VILOMA
PRANAYAMA (in einigen Schulen NADI SHUDDI genannt), welches die Nadis (Nerven)
reinigt und Energieflüsse aufbaut. Hier atmet man immer durch das rechte Nasenloch
ein, hält die Atmung kurz ein, atmet durch das linke Nasenloch aus und hält danach
die Atmung kurz aus. Ein SAVITRI PRANAYAMA-Rhythmus (z. B. 8:4:8:4) kann hierbei
benutzt werden. VISHNU MUDRA hilft die alternierende Nasenatmung zu kontrollieren
und die Konzentration auf die Atembewegung zu fixieren. Spannungen, die im Nervensystem
abgelagert sind, können effektiv durch die Wechselatmungs-Techniken der Gitananda-Tradition
NADI SHODDHANA und NADI SHUDDI gelöst werden. Bei NADI SHODDHANA handelt es sich
um eine grobe Reinigung, NADI SHUDDHI wiederum ist eine verfeinerte Methode, die
erst nach der groben Reinigung angewendet werden sollte. Weitere wichtige Reinigungstechniken
sind ANUNASIKA PRANAYAMA, die die Nasennebenhöhlen und alle Öffnungen im Schädel
reinigt und KAPALA BHATI, der 'Schädel-Reiniger', welcher dem Yogi eine reine
Gehirnstruktur gibt und das Gedächtnis verbessert. Diese Techniken bereiten den
Weg für eine höhere Gehirn-Geist-Aktivität des Yoga-Aspiranten vor.
Das Gehirn muss gefordert werden Unser Gehirn bekommt in der
Regel nur wenig oder kaum Beachtung, wenn es darum geht, uns gesund, flexibel
und jung zu halten. Das Gehirn kann vielfach durch falsche Nutzung, Überstrapazieren
und Unterforderung Schaden erleiden und als Organ schlaff, weich und funktionsuntüchtig
werden. Gegen all diese Probleme bietet Yoga die beste Medizin, fordert und fördert
das Gehirn. Dieser Beitrag gibt einen kleinen Einblick in die umfassende und tiefgründige
Lehre von Dr. Swami Gitananda. Wenn unser Gehirn allerdings der Untätigkeit preisgegeben
ist oder wie Swami Gitananda dies ausgedrückt hat: "If you don't use it you will
lose it", werden all das Wissen und die Techniken keinen Nutzen bringen. Von größter
Bedeutung - nicht nur für einen Yogaübenden - ist daher eine Lebensweise, die
unseren Geistesapparat jeden Tag in jeder nur erdenklichen Weise stimuliert, wachsen
lässt und es dadurch als ein brauchbares Instrument für unsere spirituelle Evolution
dienen kann.
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